Frau Tamar Gabelnick, eine Vertreterin des ICBL, stellt einmal mehr die Forderung nach vollständiger Beseitigung aller Kampfmittel, unabhängig von der von ihnen ausgehenden Gefährdung der Öffentlichkeit, wenn sie ausführt: »We can only be ›Mine Safe‹ when we are ›Mine Free‹«. Natürlich nennt sie eine Reihe guter Gründe für diese 100% Forderung, wie zum Beispiel die Möglichkeit späterer Nutzungsänderung von Flächen mit entsprechend tiefen Bodeneingriffen, für die eine lediglich oberflächennahe Räumung von Kampfmitteln dann unzureichend sei.
Demgegenüber bezieht der der einschlägigen Fachwelt ebenso bekannte und respektierte Direktor Field Operations der Golden West Humanitarian Foundation, Roger Hess, die Position des technischen Praktikers. Man mag den Beitrag unter Vernachlässigung manch sehr interessanter Details auf die Maxime komprimieren: nicht so gut wie möglich, sondern so gut wie nötig.
Er begründet dies angesichts der Vielfalt der Aufgaben mit der Beschränkung der zur Verfügung stehenden Mittel, die einen ebenso sparsamen wie wohlgeplanten Umgang mit den begrenzten Budgets verlangen und den double standards in den Sponsorländern, die für sich selbst oft andere Maßstäbe anwenden als für die Empfängerländer.
Gänzlich unverständlich wird die Angelegenheit, wenn man feststellt, dass die supranationalen Organismen bezüglich des Qualitätsmanagements zwar auf ISO-Standards verweisen, aber eine Prozessorientierung nicht in Erscheinung tritt. Insofern ist das bestehende System wohl zunächst vom Kopf auf die Füße zu stellen. Sobald der Qualitätsbegriff geklärt und mit der Realität in Einklang gebracht worden ist, können auch die QC-Maßnahmen und technische Ansprüche an die durchführenden Organe festgelegt werden, ansonsten wedelt einmal mehr der Schwanz mit dem Hund.
Vermutlich begründet sich der Unterschied der beiden Perspektiven auch auf den Werdegang der Autoren. Frau Gabelnicks Ansatz ist in unseren Augen ein theoretischer, systemkritischer, der auf eine Veränderung der Politik zielt. Insofern ist die Behandlung der Frage auch idealtypischer Natur, die auf die bestehenden Realbedingungen nicht eingehen kann und will.
Roger Hess befindet sich als Praktiker, der Sicherheit zu produzieren hat, im Dilemma der unzumutbaren Entscheidung, wer eventuell stirbt und wer leben darf. Folgt er dem Ansatz von Gabelnick so bleibt zugunsten einer optimierten Bearbeitung weniger Aufgaben eine Vielzahl von Gefahrenpotenzialen für geraume Zeit unangetastet. Insofern ist es nur nachvollziehbar, dass er eine Optimierung der Räumaktivitäten einer Sicherheitsmaximierung vorzieht.
Im Gegensatz zu einem Absolutheitsanspruch in der ›policy‹ ist diese Position wesentlich komplexer und anspruchsvoller, setzt sie doch eine Ermittlung, Beurteilung und Kombination höchst unterschiedlicher Daten voraus. Sie steht bei verantwortungsbewusster Umsetzung der Entscheidungsprozesse dem Niveau einer Geschäftsführung in der Industrie nicht nach und ist exemplarisch für die Professionalisierung, die in der Mine Action im letzten Jahrzehnt stattgefunden hat.
• Für den Praktiker ist einerseits die Ermittlung der Art und Intensität der Kampfmittelbelastung von Bedeutung.
• Diese muss er zu den sozio-ökonomischen Konsequenzen seiner Maßnahme in Beziehung setzen.
• Dabei darf er aber auch den politischen Spielraum für seine Aktivitäten nicht außer acht lassen. Und dies gleich doppelt: einerseits hinsichtlich seines Donors und dessen Intentionen und andererseits hinsichtlich der Interessen der Entscheider im Empfängerland.
• Schlussendlich ist bei alledem auch die Perspektive der zu erwartenden Zeitschiene der Finanzierung im Auge zu behalten, denn humanitäre Maßnahmen sind i.d.R. auf ein Jahr befristet. Jedoch gibt es durchaus Sponsoren mit dem wünschenswerten Weitblick für die gesteigerte Effizienz mittelfristiger Maßnahmen.
Hess verweist zu Recht auf den Widerspruch zwischen dem in Mitteleuropa angewandten Qualitätsmaßstab und dem, der in der Dritten Welt eingefordert wird. Während in den Sponsorländern eine Kampfmittelräumung überwiegend nur bei einer unmittelbaren Gefährdungslage einsetzt und z.B. der einstweilige Verbleib von Munition in tieferen Bodenschichten durchaus akzeptiert wird, erwartet man in Ländern wie etwa Vietnam oder Afghanistan Munitionsfreiheit.